Fahrradbot*innen arbeiten unter schwierigen Bedingungen, immer schon. Seit gut einem Jahr haben sie einen Kollektivvertrag. Wie viel hat er verändert?

Bericht: Clara Felis, Fotos: Peter Provaznik.


Fahrradbot*innen sind systemrelevant. In der Pandemie ist das besonders deutlich geworden: Die Bot*innen, die in den 90er Jahren fast ausschließlich Dokumente durch die Stadt radelten, später auch Datensticks, Ersatzteile jeglicher Art und medizinische Proben, brachten im Lockdown unzählige Firmenlaptops vom Büro zu Angestellten ins Homeoffice oder zur Reparatur. Heute erledigen sie in Wien auch einen Teil der Coronatest-Logistik. Daneben gibt es die Menschen mit den großen orangen und neongrünen Rucksäcken, die Pizza und Curry an die Wohnungstür liefern.

Doch die Systemrelevanz spiegelt sich nicht in der Bezahlung oder den Arbeitsverhältnissen wieder. Die Arbeit in der Logistikbranche, zu der die Bot*innen gehören, ist traditionell prekär. Seit Anfang 2020 gibt es einen Kollektivvertrag für Fahrradbot*innen: Angestellte Bot*innen verdienen jetzt ungefähr 1.540 Euro brutto im Monat für 40 Wochenstunden harte und gefährliche körperliche Arbeit. Verwenden sie ihr eigenes Fahrrad, kommen noch 24 Cent pro gefahrenem Kilometer dazu.

Ein Kollektivvertrag für Wenige

Angestellte machen aber nur einen kleinen Teil aller Bot*innen aus. Manche Firmen lassen ihre Fahrer*innen als (Schein-)Selbständige mit Gewerbeschein fahren, andere als freie Dienstnehmer*innen, was für die Mitarbeitenden viele Nach- und wenige Vorteile bringt. Sie haben weder ein Recht auf ein 13. und 14. Gehalt, bezahlten Urlaub und bezahlten Krankenstand noch das Recht, sich in einem Betriebsrat zu formieren oder sich durch eine Gewerkschaft vertreten zu lassen. Der Kollektivvertrag gilt für sie nicht. Vor kurzem haben sich einige Bot*innen mit freiem Dienstvertrag, von der Gewerkschaft vida unterstützt, zum „Riders Collective“ zusammengeschlossen, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen.

Der Lieferdienst Mjam zum Beispiel, längst kein Start-Up mehr, sondern Teil des weltweit agierenden, börsennotierten Unternehmens Delivery Hero, beschäftigt in Österreich nach eigenen Angaben etwa 2.000 Menschen. 90 Prozent davon sind freie Dienstnehmer*innen – anders als beim Konkurrenten Lieferando, der seine Leute nach Kollektivvertrag anstellt, wenn auch meist nur geringfügig.

Den Vorwurf der Ausbeutung wies Mjam-Chef Artur Schreiber vor Kurzem im Standard zurück: Man arbeite nun mal im Niedriglohnsektor und verlange keine Deutschkenntnisse oder sonstigen Qualifikationen – „die einzige Voraussetzung für den Job ist, radeln zu können.“ Auch würde er ja gerne mehr seiner Fahrer*innen anstellen, sagte Schreiber, „aber den meisten geht es nicht ums 13. und 14. Gehalt, sondern um volle Flexibilität. Sie wollen selbst entscheiden, wann sie wie viel arbeiten.”

Immerhin gibt es bei Mjam seit Jahren einen Betriebsrat. Das haben die Leute bei Mjam vielen Kolleg*innen voraus. Bei Veloce etwa, dem ältesten Bot*innendienst Wiens, ist ein Versuch zur Betriebsratsgründung 2004 gescheitert. Auch dort haben die meisten Bot*innen nur einen freien Dienstvertrag.

Kampf um den Betriebsrat

Seit September 2020 fährt Veloce im Auftrag der Stadt Wien Corona-Gurgeltests ins Labor. Die dafür zuständigen Mitarbeiter*innen musste das Unternehmen nach Kollektivvertrag anstellen, die Covid-Test-Flotte ist eine Art Botendienst im Botendienst. Unzufrieden mit ihren Arbeitsbedingungen, schlossen sich einige Angestellte im Dezember zusammen, um einen Betriebsrat zu gründen. Drei Tage, nachdem sie zu diesem Zweck eine Betriebsversammlung einberufen hatten, wurden jene sieben Angestellten, die den Aufruf unterschrieben hatten, gekündigt – offiziell wegen schlechter Auftragslage.

Mit Unterstützung der Gewerkschaft vida, die auch medial Druck auf Veloce ausübte, konnten sich die Bot*innen schließlich durchsetzen. Die Firma nahm die Kündigungen zurück, die Wahl konnte stattfinden, Anfang Jänner wurde der Betriebsrat gegründet. Auch ein Teil der Forderungen der Covid-Test-Flotte wurde umgesetzt: Die Fahrer*innen müssen nicht mehr wie zu Beginn elf Tage am Stück durcharbeiten und werden regelmäßig auf das Coronavirus getestet. Gestritten wird allerdings weiter um die Frage, ob Wartezeiten bei der Abgabe der eingesammelten Tests als Arbeitszeit gelten oder nicht.

Berufung und Selbstausbeutung

Und dann sind da noch jene Radbot*innen, für die ihre Arbeit kein Geldjob, sondern eine Berufung ist.

Der Bot*innendienst Hermes etwa arbeitet seit fast 30 Jahren als basisdemokratisch organisiertes Kollektiv, alle Mitarbeiter*innen verdienen den gleichen Stundenlohn und entscheiden selbst, wie ihr Arbeitsalltag aussieht. Der auf Expresslieferungen spezialisierte Bot*innendienst Pink Pedals in Graz hat sich 2011 ebenfalls als Kollektiv gegründet. Seit 2017 ist er juristisch eine Offene Gesellschaft (OG) mit Geschäftsführung und Betriebsrat, inzwischen sind all seine Bot*innen nach dem neuen Kollektivvertrag angestellt. Beim Lastenrad-Bot*innendienst Heavy Pedals sind seit der Gründung im Jahr 2009 alle Mitarbeiter*innen angestellt.

Die Branche wird weiter wachsen

Wer seinen Beruf als Berufung sieht, landet allerdings leicht in der Selbstausbeutung. Das Geschäft, von Essensauslieferungen abgesehen, ist derzeit sehr unbeständig, sagt eine Hermes-Botin: „Es ist schwer zu kalkulieren, wie viele Fahrer*innen wir auf der Straße brauchen.“ In der Pandemie sind noch dazu Aufträge aus vielen Bereichen, Anzeige etwa von Werbeagenturen, weggebrochen. Da Hermes auch Essen ausfährt, „haben wir zumindest ein kontinuierli- ches Standbein“, sagt die Botin.

Auch wenn irgendwann die Pandemie vorbei ist und keine Covid-Tests mehr transportiert werden müssen, werden Bot*innendienste systemrelevant bleiben. Die Branche ist in den letzten Jahren stark gewachsen und wird weiter an Bedeutung gewinnen, zum Beispiel bei der sogenannten letzten Meile: Große Logistik-Unternehmen schicken in Städten ihre Autos nicht mehr bis zum Endkunden, sondern lassen ihre Ware davor auf Lastenräder umladen, die das letzte Stück des Transports übernehmen. So kann Ware innerhalb einer Stadt schnell, emissionsarm und zuverlässig zugestellt werden.

Die Menschen, die dafür in die Pedale treten, werden unterdessen weiter kämpfen müssen. Der Kollektivvertrag stellt eine Verbesserung für manche von ihnen dar, aber die grundsätzlichen Probleme in der Branche bleiben. Damit sich ihre Lage wirklich ändert, bräuchte es arbeitsverfassungsrechtliche Änderungen beim Modell der freien Dienstverträge und strengere Scheinselbständigkeits-Kontrollen der Sozialversicherung.

 

Clara Felis arbeitet seit 2011 unter dem Namen „Orca“ als Radbotin, früher bei Hermes, heute bei Heavy Pedals.

 

 

 


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