Katja Schechtner ist Architektin, und Stadtplanerin. In Boston, Manila, Wien und Paris forscht und experimentiert sie an den Schnittstellen von Technologie, Stadt und Bewegung. Florian Lorenz hat sie für den DRAHTESEL zum Gespräch getroffen.

 
DRAHTESEL: Du näherst dich dem Thema Mobilität von ganz unterschiedlichen Richtungen. Als Forscherin, als Technikerin, Politikberaterin und als Künstlerin. Bitte erzähl uns ein bisschen über deine Projekte.

Katja Schechtner: In Boston arbeite ich – wenn man so will – an der „Zukunft der Zukunft der Mobilität“. Dort, am Massachusetts Institute of Technology (MIT), wollen wir selbstfahrenden Autos eine Art Blickverständnis im Verkehr ermöglichen. Wir entwickeln bewegliche Scheinwerfer, die Fussgänger wahrnehmen und durch „Nicken“ anzeigen können, dass es ok ist über die Straße zu gehen. Es geht um die Interaktion zwischen Mensch und Maschine. Nicht der Mensch soll sich an ein technologisches Umfeld anpassen müssen, sondern umgekehrt. Mein zweiter Ort ist Manila. Da entwickeln wir dreirädrige Pedicabs, speziell für Slum-Gegenden. Die Einstiegshöhe dieser Fahrrad-Rikschas ist ein wenig höher, damit sie im Fall einer Überschwemmung für eine Evakuierung funktionieren. In Wien, wo ich eine Gast-Professur habe, arbeite ich an künstlerischen Projekten. Letztes Jahr habe ich „Home is, where your phone is“, eine Arbeit zum Zusammenspiel von Flucht und Technik auf der Biennale in Venedig ausgestellt. Und in Paris werde ich mich mit Policy Innovations beschäftigen. Da geht es um Empfehlungen für Politik und Gesetzgebung. Etwa um die Elektrifizierung des Lastentransports.

Was war dein Schlüsselerlebnis, dich mit dem Thema Mobilität zu beschäftigen?
Das war in Japan. Dort hat mich beeindruckt, wie gut das Bewegungssystem der Menschen funktionieren kann, wenn alle aufeinander achten. Alles hatte aber auch eine gewisse ästhetische Qualität. Das kommt mir als Architektin und Städteplanerin zugute: Ich möchte, dass es funktioniert, aber ich möchte auch, dass es eine ansprechende, freudvolle Qualität hat. Liegt darin die Zukunft der Mobilität: Öffentliche Räume nicht nur so zu gestalten, dass sie Bewegung ermöglichen, sondern einen spielerischen Umgang mit der Stadt? Viele Jahre lang musste man erklären, dass Mobilität nicht bloß ein Optimierungssystem gegen Autostaus ist. Das ist mittlerweile besser geworden, weil auch die Konzerne mit ihren Smart City-Technologien inzwischen feststellen, dass sie Verwaltungsspitzen und Städteplanenden gegenüber sitzen, die nicht nur Effizienz und Kostenoptimierung wollen, sondern menschliche Qualitäten wie Erleben, Freude, Ruhe, oder auch mal Aufregung. Aber es ist nach wie vor ein Uphill Battle: die meisten Leute, die mir in Mobilitätsfragen und Stadtplanung gegenübersitzen, sind Softwaretechniker, Elektroingenieure und dergleichen. Bis zu einem spielerischen Umgang mit der Stadt ist es noch ein weiter Weg.

Mobilitätsforschung und Stadtplanung haben den Ruf, ein sehr Männer-dominiertes Feld zu sein. Wie siehst du das?
Vor zehn, fünfzehn Jahren war man als Mobilitätsforscherin eine Ausnahmeerscheinung. Bei Podiumsdiskussionen war ich regelmäßig die einzige Frau, und im Publikum saßen unter 300 Männern drei Frauen. Ein bisschen etwas hat sich geändert: Aus den drei Frauen sind jetzt vielleicht 30 geworden. Mittlerweile gibt es allerdings einen massiven Backlash: Eine Zeit lang haben sich alle total bemüht, zumindest eine Frau auf dem Panel zu haben. Jetzt, kommt mir vor, geht dieses Bemühen zurück. Erst vor kurzem war ich im Publikum bei einer Podiumsdiskussion über urbane Mobilität der Zukunft, und es haben acht Männer diskutiert.

Was ist dein Interesse als Planerin und Forscherin am Radverkehr?
Der Radverkehr ist ein spannendes Umfeld, um Dinge auszuprobieren. Ich arbeite gerade an einem Projekt von MIT und Austrian Institute Of Technology (AIT), das sich Persuasive Urban Mobility nennt. Wir schauen uns an, wie wir Leute zum Umstieg auf das Fahrrad bewegen können. Und zwar nicht mit der Hilfe von Incentives – wie etwa Kaffeehaus-Gutscheinen, sondern indem wir Spieltrieb oder Kooperation ansprechen. Was mich als Forscherin interessieren würde: ein System zu entwickeln, das zuverlässige und vertrauenswürdige Daten über den Radverkehr liefert, die sowohl von der Administration herangezogen, als auch von Bürgerinnen und Bürgern überprüft werden können. Das könnte helfen, die verkehrspolitische Debatte zu versachlichen.

Welche Rolle kann das Fahrrad in der Mobilität von morgen spielen?
Eines der Dinge, die ich am spannendsten finde, sind Pedicabs, also Fahrrad-Rikschas. Noch vor fünfzehn Jahren wäre man in London oder Wien an innerer Scham vergangen, sich von jemandem mittels Muskelkraft irgendwohin radeln zu lassen. Europäische Städte greifen das jetzt wieder auf, und es ist eine nachhaltige, sinnvolle, sanfte Mobilitätsform. Interessant wird auch sein, ob sich Lastenräder in den USA und in Europa für den Gütertransport durchsetzen werden. Es gibt auf jeden Fall genug zum Erforschen und neu Gestalten. Uns wird bestimmt nicht langweilig.