Ein Forschungsteam der TU Wien untersuchte die Pendlerströme in Österreichs Ostregion. Ergebnis: In der Kombination aus Bahn und Rad liegt gewaltiges Potenzial

TEXT: Thomas Hader und Alec Hager

Rund 200.000 Menschen pendeln täglich in Österreichs Ostregion von ihrem Heim zur Arbeit in Wien und zurück. Die Wiener Stadtgrenze wird dabei von 140.000 Personen in Autos überquert. Rechnet man zu Arbeitswegen alle anderen Fahrten dazu, sind pro Tag 500.000 Menschen in und aus dem Umland in der Stadt unterwegs, davon – so die Kordonerhebung Wien 2008 bis 2010 der Planungsgemeinschaft Ost – nutzen nur 100.000 öffentliche Verkehrsmittel. Angesichts des erwarteten Bevölkerungswachstums in der Ostregion – allein Wien wächst jedes Jahr um 30.000 Menschen – wird klar, dass dieses System nicht zukunftsfähig ist.

Damit die Region nicht in einer Verkehrslawine erstickt, braucht es Änderungen bei der Verkehrsmittelnutzung. Aus Sicht der Pendelnden ist es notwendig, dass die Wege zwischen
Wohn- und Arbeitsort möglichst kostengünstig und bequem zurückgelegt werden können. Geringe Lärm- und Luftbelastung ist für Lebensqualität, Umwelt und Gesundheit entscheidend und wäre ein wichtiger Beitrag zu den übereinkommen der Pariser UN-Klimakonferenz 2015. Aber wie sehen die passenden Angebote für all jene aus, die auf dem Weg in die Arbeits- oder Ausbildungsstätte zwanzig, dreißig oder noch mehr Kilometer zurücklegen müssen?

Um das vorhandene Angebot, die möglichen Potenziale und den daraus ableitbaren Handlungsbedarf für Politik und Verkehrsverbände auszuloten, wurde die Technische Universität Wien (TU Wien) im Jahr 2013 von den Arbeiterkammern Wien, Niederösterreich und Burgenland mit einer wissenschaftlichen Untersuchung der Pendlerströme beauftragt. Ausgehend von der geographischen Lage der Wohn- und Arbeitsorte untersuchte ein Forschungsteam, wie viele Tagespendelnde die Bahn auf ihren Arbeitswegen nutzen könnten. Ausgangsbasis für die Analyse waren die geographischen Koordinaten der Wohn- und Arbeitsorte von 144.000 Tagespendelnden. 60.000 davon nutzen derzeit die Bahn.

Wie die Ergebnisse zeigen, könnten es allerdings 124.000 sein. Potenzial für Bahn und Rad ist hoch Im Gesamtbild der Studie zeigt sich, dass fast zwei Drittel, also 80.000, der Tagespendelnden, im Umkreis von drei Kilometern zur nächsten Bahnstation wohnen. Für drei Viertel der Pendelnden liegt der Arbeitsort innerhalb von drei Kilometern zu Bahnhöfen. Derartige Entfernungen sind wie gemacht für das Fahrrad. Die Möglichkeit für einen CO2-freien Arbeitsweg ist also groß, aber wie sieht die Realität aus? Von den Bahnpassagieren im Morgenverkehr der Ostregion kommen 46 Prozent zu Fuß und 10,5 Prozent mit dem Fahrrad zur Haltestelle. 38 Prozent fuhren selbst mit dem Pkw und rund 4 Prozent wurden zur Haltestelle gebracht. Zum Vergleich: In Vorarlberg liegt die Fahrradnutzung am Arbeitsweg bei 15 Prozent, in der Stadt Salzburg waren es im Jahr 2012 sogar 25 Prozent.
Angebot für Radverkehr reicht nicht

Um jener hohen Anzahl von Pendelnden, für die auf Grund ihrer Wohndistanz zum Bahnhof ein Umstieg auf Bahn und Rad denkbar ist, diesen auch zu ermöglichen, braucht es gute
Fuß- und Radweganbindungen sowie sichere Radabstellmöglichkeiten. Die TU Wien hat in ihrer Studie für jede einzelne Haltestelle die vorhandenen Abstellplätze für Pkw, Motorrad, Car-Sharing und Fahrräder an Bahnhöfen und Haltestellen der Ostregion erhoben.

Ergebnis: derzeit stehen rund 27.600 Pkw-, 600 Motorräder- und 50 Carsharing-Abstellplätze sowie rund 13.800 Fahrradabstellplätze zur Verfügung. Damit stehen also fast doppelt so viele Pkw-Parkplätze wie Fahrradabstellplätze zur Verfügung. Vergleichszahlen aus Vorarlberg und Salzburg sowie die Wohndistanzen zeigen, dass in der Ostregion der Anteil an den Pendelnden, die Bahn und Rad kombinieren, durchaus auf 20 Prozent angehoben werden kann. Vorausgesetzt, ein passendes Angebot wird geschaffen. Dafür müsste allerdings die Anzahl der Fahrradabstellanlagen mehr als verdoppelt werden. Derzeit fehlen nämlich in Summe in der Ostregion rund 17.300 Fahrrad-Stellplätze an den Bahnhöfen und Haltestellen.

Nachholbedarf gibt es an der Westachse. In der TU-Studie wird der Mehrbedarf mit 2.800 Fahrradabstellplätzen beziffert, an der Südachse fehlen rund 3.100 und an der Franz- Josefs-Bahn-Achse 1.650 neue Fahrradabstellanlagen, die natürlich in entsprechender Qualität – also überdacht und mit Fahrradboxen und Radgaragen ergänzt – zu errichten wären.

Sehr zu begrüßen sind in dieser Hinsicht die neuen Richtlinien der ÖBB für Ausgestaltung und Beschilderung von Radabstellanlagen sowie dementsprechende Anlagenbauten in jüngster Zeit, zum Beispiel in Korneuburg oder St. Andrä-Wördern. Immerhin hat die ÖBB in der Ostregion 700 neue Stellplätze angekündigt.

Damit die Potenziale für einen umweltfreundlichen Pendelverkehr in der gesamten Ostregion ausgeschöpft werden können, braucht es jedoch weit größere Maßnahmen und Eingriffe ins Gesamtsystem.