Oliver Baier kennen wir aus dem Radio, dem Fernsehen oder von der Bühne: Als Moderator der ORF-Sendung „Was gibt es Neues“ oder als Schauspieler in Fernsehfilmen wie „Der Aufschneider“. Was Viele nicht wissen: Der 55-Jährige ist leidenschaftlicher Radreisender. In den vergangenen zwölf Jahren hat Baier den halben Globus auf zwei Rädern erkundet.

Interview: Klaus Brixler und Magdalena Jöchler, Fotos: Oliver Baier.


Du bist schon durch etliche Länder geradelt – Marokko, Spanien, Frankreich, dein Lieblingsland aber ist Thailand. Wie fährt man sicher durch Bangkok?
Oliver Baier  Mit Atemschutzmaske während der Rushhour. Klingt wahnsinnig – aber da steht ganz Bangkok, und du schlängelst dich zwischen den Autos durch. Ich dachte immer, ein ruhiger Sonntag wäre der sicherste Zeitpunkt, um aus der Stadt loszufahren. Irrtum! Da ist zwar weniger Verkehr, aber alle sind viel schneller unterwegs.

Wie bist du zum Radreisenden geworden?
Es gab ein Erweckungserlebnis Anfang der 90er auf der Wiener Ringstraße: Ich hetze mit dem Auto von Termin zu Termin, und wie ich auf Ampelgrün warte, reitet eine Gruppe Radreisender an meinem Auto vorbei auf den Radweg Richtung Irgendwo. Beim Anblick der vollgepackten Satteltaschen wurde ich wieder einmal an meine Sehnsucht erinnert, mich irgendwann mal aufs Rad zu setzen und einfach loszufahren. Es hat dann noch eine Ewigkeit gedauert, bis ich tatsächlich meine erste Reise gemacht habe, aber 2009 war es dann soweit.

Deine erste Reise ging gleich einmal von Spittal an der Drau nach Aix en Provence in Südfrankreich. Wie ist es dir dabei gegangen?
In der Nacht vor der Abreise habe ich mich wie ein Bub gefühlt, der zum ersten Mal zum Pfadfinderlager darf. Am nächsten Morgen ging es aber einfach los. Zunächst noch geplagt mit existenziellen Fragen, wie ich denn mit so wenig auskommen soll, wo ich schlafen soll und ob ich stinken werde. Meine Sorge war, dass ich wohlstandsverwahrloster Mensch diese wochenlange Reise nicht aushalte.

Aber du hast nicht aufgegeben …
Genau. Es ist dann von Tag zu Tag besser gegangen, und ein paar Wochen später bin ich glücklich und zufrieden in Aix en Provence angekommen. Seither bin ich Überzeugungstäter, habe mein Equipment aufgerüstet, die Logistik perfektioniert und mache das einmal im Jahr.

Wann wurde dir klar, dass das deine Art zu reisen ist?
Schon am ersten Tag der ersten Reise. Mein erstes Etappenziel war Pontebba, ein kleines Städtchen im norditalienischen Kanaltal. Die meisten nehmen Pontebba nur noch als Autobahnabfahrt auf der Durchreise Richtung obere Adria wahr. Aber für mich gab es hier den Punkt, an dem sich Zeit und Raum verschoben haben: Mit dem Auto wäre ich von Spittal in 80 Minuten dort gewesen, mit dem Rad war es plötzlich eine Tagesreise. Am Abend habe ich in meinem Zimmer über dem Café Vecchio meine Radwäsche gewaschen, in einem Self-Service-Pizza-Laden zu Abend gegessen und mir gedacht: „Alles gut! Ich habe ein Bett, ich habe zu essen und stinken tu ich auch nicht.“

„Mein Leben auf drei Unterhosen, drei Shirts und drei Fahrradhosen zu reduzieren, ist ein Ritual für mich.“

 

Was gefällt dir an diesem komfortbefreiten Reisestil?
Es beginnt mit dem Packen der Taschen am Tag vor der Abreise. Mein Leben herzunehmen und auf drei Unterhosen, drei Shirts und drei Fahrradhosen zu reduzieren, ist ein Ritual für mich. Das ist wie in der Comedy: Du brauchst immer drei Schläge, damit die Pointe funktioniert.

Hast du einen Lifehack, den du mit uns teilen möchtest?
Gummiringerl! Ich habe immer eine Unzahl davon im Gepäck.

Warum das?
Der größte Feind von Radreisenden sind diese diebstahlsicheren Kleiderhaken in den Unterkünften. Denen hat man ja den eigentlichen Haken amputiert, damit sie nur in die fix montierte Verankerung im Schrank passen. Da drinnen trocknet feuchte Wäsche über Nacht aber nicht. Deswegen hänge ich diese Eunuchen unter den Kleiderhaken mit Gummiringerln im ganzen Zimmer verteilt auf, an Schrank-, Fenster- und Türgriffen, Lampenschirmen und Wandhalterungen von Fernsehern.

Du schläfst bei deinen Reisen also im Hotel?
In sehr einfachen Unterkünften. Aber in einem Bett, ja. So bequem und dekadent bin ich. Wenn du unterwegs auf so Weltenbummler-Radelnde mit Zelt triffst, lassen sie dich oft auf recht abschätzige Weise spüren, dass eine Zeltübernachtung für sie den eigentlichen Spirit einer Radreise ausmacht. Aber das ist einfach nicht mein Weg.

Vor allem in besseren Hotels ist man als Radreisende*r immer noch exotisch.
Da gibt es den Unterschied zwischen guten Hotels und wirklich guten Hotels. Bei den wirklich guten ist das kein Thema. Aber mir ist es schon passiert, dass Angestellte herausgelaufen kommen und mich zum Hintereingang scheuchen wollen, weil sie glauben, ich sei der Fahrradbote.

Bist du immer alleine unterwegs?
Bis auf wenige Ausnahmen ja. Das ist einfach ein anderes Erlebnis. Alleine, weil du von der lokalen Bevölkerung anders wahrgenommen wirst. Als Einzelner gerate ich öfter in Gespräche als in einer Gruppe. Und ich schätze die Unabhängigkeit: Wenn ich in der Früh aufstehe und sehe, dass keine Wolke am Himmel ist, dann will ich los – jetzt! Jetzt! Dann will ich nicht auf ein gemeinsames Frühstück um 07:30 Uhr warten.

„Manchmal komme ich in einen tranceartigen Zustand.“

 

Wie geht es dir, wenn du stundenlang mit dir alleine bist?
Manchmal komme ich in einen tranceartigen Zustand, das passiert mir nur am Rad. Es gibt Etappen, wo ich am Abend nicht weiß, wie ich an mein Ziel gekommen bin. Da versinke ich so in Gedanken und Geschichten und kreativen Einfällen, dass ich meine Umgebung nicht mehr wahrnehme.

Klingt nach meditieren.
Bitte das jetzt nicht als esoterischen Schmafu abtun, aber der Rhythmus des Strampelns und Tretens bringt mich auf eine andere Ebene. 2016 bin ich zum Beispiel durch Malaysia geradelt. Ich fahre durch diese weitflächigen Palmenplantagen, es regnet leicht, um mich herum kräht, piepst, kreischt und zwitschert es – das sind faszinierende Momente.

„Das Rad ist für mich kein Alltagsgerät.“

 

Was war deine längste Reise bisher?
Die ging 2018 von Lienz über Italien, die Schweiz und Frankreich nach Schottland und wieder retour nach Paris – knapp 2.200 Kilometer insgesamt. Die Vorbereitungen dafür kamen einem Drehbuch gleich. Wenn du zwei Monate von Ersparnissen leben musst, bist du als Frühbucher besser dran und musst dementsprechend akribisch planen. In Phetchaburi begann die letzte Etappe von Baiers Thailand-Reise. Auf dem Doi Pathang fiel die Temperatur in der Nacht auf 8°C. Ich wusste also zum Beispiel, dass ich am Soundsovielten in Paris sein muss, weil ich für 07:45 Uhr ein wirklich günstiges Eurostar-Ticket nach London habe.

Wie wählst du auf solchen Reisen deine Route?
Nicht direkt, sondern entlang der Orte, die ich sehen will. Natürlich hätte ich auch über München und Straßburg nach Paris fahren können. Ich wollte aber wissen, ob ich es aushalte, zwei Monate durchzufahren.

Passiert es dir manchmal, dass du am Rad blendende Ideen hast, die aber weg sind, sobald du absteigst?
Lustige Formulierungen für meinen Reiseblog fallen mir meist am Rad ein. Die diktiere ich dann in mein Handy und schreibe sie am Abend nieder. Sonst habe ich eine Idee und dann noch eine und noch eine, und dann habe ich die erste schon wieder vergessen.

Auf deinem Blog postest du auch Fotos und Videos. Für wen betreibst du diese ganze Dokumentationsarbeit?
In erster Linie mache ich das, um anderen Leuten zu zeigen, dass man seine Ängste überwinden kann. Ich werde dauernd gefragt, ob Touren in entlegene Gebiete der arabischen Halbinsel oder Südostasiens nicht ungemein gefährlich sind. Nach Einschätzung einiger Menschen in meinem Bekanntenkreis dürfte ich eigentlich nicht mehr am Leben sein. Viele verschieben alles auf die Pension. Aber das Leben passiert, während wir Pläne machen, und ich habe keine Ahnung, ob ich in zehn Jahren noch eine Nordthailand-Tour schaffe. Ich will nicht auf die Pension warten!

Wie hast du deine eigenen Ängste überwunden?
Die Lust, es einfach zu machen, war immer größer als die Angst. 2016 bin ich von Bangkok nach Kuala Lumpur geradelt und musste durch das thailändisch- malaysische Grenzgebiet, eine nicht unproblematische Region. Für den Grenzübertritt habe ich die Provinz Satun gewählt, weil die vom islamischen Separatismus nicht betroffen ist. Trotzdem habe ich in der Nacht vor der Abreise kaum ein Auge zugemacht. Beim Grenzübergang hat mich ein Beamter dann aber so nett aus Thailand verabschiedet, mir auch noch eine Flasche Wasser mitgegeben, dass ich mich ein paar Minuten später auf der malaysischen Straße Richtung Kuala Perlis nur gefragt habe: „Und weswegen jetzt die Angst?“

Bewegst du dich auch in der Stadt mit dem Rad?
Nein, das Rad ist für mich kein Alltagsgerät. Ich war mal einer von diesen Menschen, die zwei U-Bahn-Stationen mit dem Auto fahren. Anfang der Nullerjahre ist mir bewusst geworden, dass das komplett sinnlos ist. Seitdem nutze ich mein Auto nur noch im Sommer, um nach Kärnten zu fahren. In Wien fahre ich mit der U-Bahn oder mit meinem E-Bike.

Jemand, der über mehrere Wochen hinweg 100 Kilometer am Tag radelt, fährt in der Stadt mit dem E-Bike?
Hallo? Ein E-Bike ist kein Moped, wo man sich einfach draufsetzt und losfährt. Man bewegt sich, man ist nur schneller und kommt weniger verschwitzt zu seinen Terminen. Ich habe mir 2009 mit einer Förderung der Stadt Wien mein erstes E-Bike gekauft. Damals warst du damit ein echter Exot.

Dein normales Rad nutzt du also nur zum Reisen. Wohin verschlägt es dich dieses Jahr?
Ich hatte geplant, ab Mai ans Nordkap zu radeln. Zur Sonnenwende wollte ich im nördlichen Polarkreis sein und die Mitternachtssonne erleben. Ich habe mir dafür extra ein neues Reiserad gekauft. Aber da war irgendwas mit einem Virus. Ich warte also auf die Impfung und hoffe, dass sich die Lage im Sommer etwas normalisiert. Das Rad steht jetzt im Wohnzimmer und schaut mich jeden Tag beleidigt an.

 

Dieses Interview ist die gekürzte und bearbeitete Fassung eines Gesprächs für den Fahrrad-Podcast „Reich durch Radeln“.

Oliver Baier begann 1988 als Radio-Moderator zuerst auf Radio Wien, dann auf Ö3. Später wechselte er zum Fernsehen, seit 2004 moderiert er die Comedy-Quizshow „Was gibt es Neues?“ auf ORF 1. Daneben spielt er in Fernsehfilmen und auf Theaterbühnen und macht Kabarett.

 

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