Verkehrswende im Wilden Westen
Der Berliner Cartoonist Mawil setzt den Westernhelden Lucky Luke aufs Fahrrad. Eine originelle Idee und mehr als das: Mawil kritisiert augenzwinkernd unsere autoverliebte Gesellschaft. Coverstory von Matthias Bernold.
Als Lucky Luke nach „Traffic Gulch“ kommt, steht er gleich einmal im Stau: Pferde quälen sich im Stop and Go durch die Straßen, niemand findet einen Parkplatz, und im Saloon drehen sich alle Gespräche nur um das eine: wer das schönste und schnellste Pferd reitet. Bereits die Ortstafel vor der Stadt zeigt den pferdegetriebenen Verkehrsinfarkt an: Sie steht in einem Berg aus dampfenden Rossäpfeln.
In Mawils Hommage an den Mann, der schneller zieht als sein Schatten, ist das Pferd eine Metapher für das Automobil. Immer wieder lässt Markus „Mawil“ Witzel seine Kritik am automobilen Alltag anklingen.
„Ich finde Autos schon interessant und kuck sie mir gerne wegen ihres Designs an. Aber ich selber brauche das nicht. Ich fahre mit dem Fahrrad durch Berlin von meiner Wohnung zum Atelier“, erklärt Mawil im Gespräch mit dem Drahtesel. (Das Interview mit Mawil im O-Ton findet sich hier!): „Ich denke, die Welt wird ein besserer Ort, wenn mehr Menschen im Fahrrad statt mit dem Auto unterwegs sind.“
Dass im Heft immer wieder Kritik am motorisierten Individualverkehr aufflackert, sei kein Zufall. Zwar gebe es in Berlin immer mehr Fahrräder und die rot-rot-grüne Regierung habe sich die Förderung des Radverkehrs auf die Fahnen geheftet, mangelhafte Radwege, diskriminierende Ampelschaltungen und zu wenig Platz für Zufußgehende und Radfahrende vermittelten aber immer noch das Gefühl, wer nicht Auto fahre sei Bürger zweiter Klasse. „Ich denke, eine ganze Menge Leute könnten auch viel mehr mit dem Fahrrad schaffen“, sagt Mawil: „Wenn man als Kind das Fahrrad nah gelegt bekommt, wenn man lernt, einen Platten zu flicken, kriegt man das auch fertig, mit zwei Pack-Taschen hinten drauf einen Großeinkauf mit dem Fahrrad zu machen.“
Mawil (Jahrgang 1976) wuchs zu DDR-Zeiten im Osten Berlins auf. Er sei ein Stubenhocker gewesen und habe viel Zeit alleine verbracht. Vor allem mit dem Zeichnen von Comics, das für ihn auch zur Möglichkeit wird, die anderen Kinder zu beeindrucken: „Das war mein Erfolgserlebnis.“
Selbst kann er gar nicht genug von Comics bekommen. Eine Bekannte schickt Comics im doppelten Boden von Paketen im Austausch gegen DDR-Briefmarken: Asterix, Tim und Struppi, eben Lucky Luke. Und alles, was in der DDR zu bekommen ist: „Es gab im Osten sehr verrückte und schräge Kinderbücher. Von Autoren, die ansonsten nichts mehr veröffentlichen durften.“
Am Wochenende legt Markus dann den Zeichenstift zur Seite und geht radfahren. Von einem alten Klapprad schraubt er alles ab, damit es ein bisschen so aussieht wie ein BMX. „Damals gab es im Osten noch wenig Autos. Ich habe mit meinem Rad immer größere Kreise gezogen durchs Umland von Berlin, bin durch alle staubigen Sandlöcher gerollt. Das war eine gute Kindheit.“
Auch nach dem Mauerfall bleibt er seinen beiden Leidenschaften treu: Er studiert Grafikdesign an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee und gründet mit anderen die Comicgruppe Monogatari. Zeichnet für verschiedene Magazine und Zeitungen. Veröffentlicht Bücher, die immer wieder Preise gewinnen: „Wir können ja Freunde bleiben“ (2003), „Kinderland“ (2014) und „The Singles Collection“ (2015). Wenn er nicht arbeitet, geht er auf Fahrrad-Tour. Mit seinem Diamant radelt er durch Europa, ins Baltikum, weiter bis Georgien und Azerbaidschan.
Wie es zur Idee kam, Lucky Luke aufs Rad zu setzen
Bereits 2016, zum 70. Geburtstagstag des Helden, hatte es zwei Hommagen an den Westernhelden gegeben. Mawils Buch ist die dritte dieser Hommagen und die erste von einem deutschen Zeichner. Bei der Wahl des Themas habe ihm der Egmont-Verlag völlig freie Hand gelassen: „Ich habe lange überlegt. Und bin dann aufs Radfahren gekommen. Auch, weil mein nächstes Comic sowieso ein Fahrrad-Comic geworden wäre.“
Er beginnt zu recherchieren und stößt auf eine historische Brücke: Der Siegeszug des modernen Fahrrades beginnt Ende des 19. Jahrhunderts; zu der Zeit, als auch die Lucky Luke-Geschichten angesiedelt spielen. Auch zwei historische Persönlichkeiten gibt es, die Mawil einbaut: Den Hochrad-Produzenten Albert Agustus Pope und Albert H. Overman als Importeur „moderner“ britischer Fahrräder. Die beiden wollen – so der Plot – in einem Radrennen herausfinden, welcher Typ Fahrrad der bessere ist. Es erfordert der Spannungsbogen, dass Pope ein skrupelloser Schurke ist, der die Dominanz des Hochrades mit allen Mitteln erhalten will. Klar, dass sich Lucky Luke auf die Seite Overmans stellen muss und so zum Siegeszug des Fahrrades beiträgt.
Auch bei Mawil ist Lucky Luke ganz der schweigsame Superheld mit der außergewöhnlichen Geschicklichkeit mit dem Revolver. „Er ist eine besonders coole Figur“, erklärt Mawil, „was für mich sehr ungewohnt war, weil meine Figuren sonst eher Loser-Typen sind.“ Fast zu perfekt sei ihm der Cowboy erschienen. Um keine Langeweile aufkommen zu lassen, muss Mawils Lucky Luke mehr leiden als für gewöhnlich: „Er kriegt von mir das Fahrrad als Gegenspieler. Als neue Herausforderung, für die es mehr braucht als einen schnellen Schuss.“ Lucky Luke ist zunächst ein Held wider Willen. Es wäre freilich nicht Lucky Luke, würde er nicht auch das Radfahren binnen weniger Seiten meistern: Nach einem holprigen Start mit Geigeln und Stürzen quert er im Fahrrad-Sattel den ganzen Kontinent, radelt mit hinterm Rücken gefesselten Armen. Lernt während des Radfahrens zu schießen. Und hängt schließlich einen ganzen Indianerstamm mit berittenen Verfolgern ab.
Am Ende freilich steigt Lucky Luke doch wieder aufs Pferd um. (Schon alleine deshalb, weil er Jolly Jumper aus seiner Depression reißen will, in die der treue Hengst geschlittert ist, weil Lucky Luke so viel Gefallen am Fahrrad findet.) Aber auch, weil dies nun mal das Ende einer Lucky Luke-Story sein muss: „Der Verlag hat mir inhaltlich nichts vorgegeben außer eben das Ende“, lacht Mawil: „Die Alben haben ja verschiedensten Geschichten. Aber sie enden immer gleich.“ Immerhin hat Lucky Luke jetzt als er in den Sonnenuntergang reitet eine Fahrrad-Klingel dabei.
Über Lucky Luke
Im Jahr 1946 schuf der belgische Comic-Zeichner Morris die Figur des Lucky Luke. Bis 1955 zeichnete und textete er die Abenteuer allein, danach begann seine Zusammenarbeit mit Asterix-Erfinder René Goscinny, mit dem er bis zu dessen Tod 1977 zusammenarbeitete. Nach Morris’ Tod 2001 übernahm der französische Künstler Achdé die visuelle Gestaltung der Serie. Lucky Luke gehört zu den bekanntesten und bestverkauften Comic-Serien in Europa und wurde in 23 Sprachen übersetzt. Neben den 68 offiziellen Bänden gibt es inzwischen drei Hommagen: Zum 70-jährigen Jubiläum erschien 2016 „Der Mann, der Lucky Luke erschoss“ von Matthieu Bonhomme. 2017 „Jolly Jumper antwortet nicht“ von Guillaume Bouzard. „Lucky Luke sattelt um“ ist die dritte würdigende Auseinandersetzung mit dem Westernhelden.
Mawil: Lucky Luke sattelt um
Egmont Comic Collection, 2019.
ISBN 978-3-7704-4060-3
64 Seiten, 15,50 €
Herzlichen Dank an Mawil und den Egmont-Verlag, die uns die Illustrationen für die Gestaltung unseres DRAHTESEL-Covers überließen!