Mit dem Auszug der Grünen aus dem Parlament haben Menschen, denen umweltgerechte Mobilität und Verkehrspolitik ein Anliegen war, ihre politische Heimat verloren, schreibt Matthias Bernold im Leitartikel zur aktuellen Drahtesel-Ausgabe.

Matthias Bernold, Chefredakteur

Mit der kunstvollen Selbstzerstörung der Grünen und deren Auszug aus dem Parlament haben wir – zumindest auf Bundesebene – die einzige Partei verloren, die sich umweltgerechter Mobilität verschrieben hatte. Für viele Menschen, denen Klima- und Landschaftsschutz, Lebensqualität und Verkehrssicherheit ein Anliegen sind, bedeutet dies den Verlust der politischen Heimat.

Wahlkämpfe hierzulande werden nicht mit Stadtplanung und Verkehrsmanagement gewonnen, sondern mit einem Wer-bietet-mehr im Bedienen von Ressentiments. Debatte über die Zukunft der Mobilität gibt es so gut wie keine. Stattdessen errichtet man Auto- und Landebahnen und gräbt Tunnel.

Wer die tägliche Pendelnden-Welle befremdlich findet, wer Diesel-Privileg und SUV-Käufe hinterfragt, wird als oberlehrerhaft abgekanzelt. Es ist bezeichnend, dass sich einen Tag nach der Nationalratswahl in Wien Gewaltakte gegen Radfahrende häuften: einmal fuhr ein verärgerter Autofahrer einen Radfahrer absichtlich über den Haufen. Einmal bedrohte ein Autolenker einen Radfahrer mit einer Schusswaffe, während er ihn als „Scheiss Grünen“ beschimpfte. Als ob jeder Mensch auf dem Rad selbstverständlich grün wählen müsste.

Besonders traurig daran: Der Autofahrer liegt mit seiner Assoziation vermutlich nicht weit weg von der Wahrheit. Sieht man von den pragmatischen Vorarlbergern ab, die – quer über die Parteigrenzen – den Radverkehr fördern, findet sich in Österreich keine politische Kraft, die sich ernsthaft für das Radfahren einsetzen würde.

Weltweit kämpfen die Städte mit den selben Problemen: Platzmangel, Luftverschmutzung, Unfälle, Lärm. Die Lösungen sind – unabhängig von der parteipolitischen Ausrichtung der Verwaltung – überall die gleichen: Umverteilung des Straßenraums zugunsten des Rad- und Fußverkehrs, Verkehrsberuhigung, mehr Grünraum und bessere Rad-Infrastruktur.

Pragmatische Verkehrspolitik als grüne Marotte

Hierzulande wird derlei – angespornt vom geifernden Boulevard – als grüne Marotte abgetan.

Zugespitzt ausgedrückt ist der Autofahrer der Bully bei der Kinderparty, der mit dreckigen Fingern in der Gummibärchen-Schüssel wühlt und gierig in sich hineinstopft.

Die politische Kraft, die sich hinstellt und sagt: „Hey, lass den anderen auch noch etwas und wasch dir die Hände bevor du in die Schüssel greifst!“, ist uns abhanden gekommen.

Was also tun?

Den Kollaps der Grünen als Weckruf verstehen. Noch stärker als bisher werden Einrichtungen wie Radlobby und Verkehrsclub Österreich, werden Bürgerinitiativen, Kunstschaffende, Aktive und letztlich jeder und jede Einzelne auf die Verkehrswende hinarbeiten müssen. Sonst – das ist der traurige Befund – tut es nämlich niemand.