Der Triathlet und Extrem-Sportler Michael Strasser radelte in 34 Tagen von Kairo nach Kapstadt: Neuer Weltrekord. Dem DRAHTESEL erklärt Strasser, wie er sich auf diese Maloche vorbereitet hat, was er während des Trips aß und welche Tipps er für ambitionierte Freizeitsportlerinnen und -sportler parat hat.

INTERVIEW: Matthias Bernold

DRAHTESEL Wie hast du dich auf deinen Afrika-Trip vorbereitet?

Michael Strasser Mein Kernsport ist der Triathlon. Das Training ist relativ abwechslungsreich. Ich fahre im Jahr rund 20.000 Kilometer Rad, laufe rund 3.000 Kilometer und schwimme so 80 bis 100 Einheiten. Pro Woche sind es 20 Stunden Ausdauer und zehn Stunden allgemeine Fitness. Ich habe nicht geglaubt, dass mir in Afrika die Kraft in den Beinen fehlen könnte, sondern eher im Nacken und im gesamten Stützapparat. Deshalb habe ich Thera-Band Übungen für den Nacken ins Training eingebaut. Das hat sich auch bewährt: Vor allem in den letzten zehn Tagen Richtung Südafrika, als ich extrem viel Gegenwind gehabt hatte.

DE Wie arbeitest du deine Trainingspläne aus?

M.S. Ich habe vier Jahre lang einen Trainer gehabt. Die letzten drei Jahre schreibe ich mir meine Trainingspläne selber, weil mein Leben komplizierter geworden ist. Oft habe ich in der Früh und am Abend einen Kurs. Tagsüber versuche ich noch, mein eigenes Training irgendwie unterzubringen.

DE Wie sieht ein typischer Trainingsplan für jemanden aus, der mit Triathlon oder leistungsmäßigem Radfahren beginnen möchte?

M.S. Das kann man so nicht sagen. Wichtig ist, dass man sich im Training fordert. Aber auch, dass es Regenerationszeiten gibt. Es hängt extrem vom Trainingsstand des Einzelnen ab. Bevor ich für jemanden einen Plan schreibe, gehen wir zusammen radfahren oder laufen, um zu schauen wie er drauf ist.

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Foto: Chris Wisser

DE Zu deiner Afrikafahrt. Was geht dir durch den Kopf, wenn du jeden Tag 300, 400 Kilometer auf dem Rad sitzt? Wird einem da nicht langweilig?

M.S. Ja, schon. Du musst nach vielen Stunden auf dem Rad auch aufpassen, nicht einzuschlafen. Ich arbeite sehr viel mit Musik, habe mir verschiedene Playlists für verschiedene Stimmungsphasen zurechtgelegt. Außerdem: Ich habe mir sehr viel zu überlegen mitgenommen – To-Think-Listen sozusagen. Ich habe versucht, während der Fahrt mein ganzes Leben zu rekonstruieren. Da kommt man auf Anekdoten und Details drauf, an die man lange nicht mehr gedacht hat. Ich habe mir auch bestimmte Themen zum Nachdenken mitgenommen: vor zweieinhalb Jahren habe ich mich von meiner Freundin getrennt, mit der ich 13 Jahre zusammen war. Diese Beziehung musste ich dem Sport opfern, und jetzt bin ich drauf gekommen, dass das wahrscheinlich die schlimmste Entscheidung meines ganzen Lebens war.

DE Möchtest du mir den schönsten Moment und den absoluten Tiefpunkt deiner
Fahrt schildern?

M.S. Der Tiefpunkt war an Tag 8, als ich einen Hitzeschlag hatte. Nach vier Tagen durch die Wüste im Sudan habe ich am Nachmittag zum Speiben begonnen. Es war die einzige Nacht, in der ich nicht in meinem Bus geschlafen habe. Meine Begleiter haben mich mit Brechdurchfall in irgendein Hotel verfrachtet. Am Abend haben wir echt nicht gewusst wie es weitergeht. Ich habe dann relativ lang geschlafen, und am nächsten Tag ist es mir deutlich besser gegangen.

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Foto: Chris Wisser

DE Du bist trotzdem am nächsten Tag wieder aufgestiegen?

M.S. Ja, ich habe zwar nichts essen können, weil mein Magen so angeschlagen war. Aber mit drei Cola habe ich mich über den Tag gerettet und trotzdem 260 Kilometer geschafft. Das war dann irgendwie ein Restart für das ganze Projekt. Ich habe gewusst, ich muss besser auf mich aufpassen, sonst komme ich nie nach Südafrika. Ich hab lernen müssen mit kleinen Reserven vom Rad runterzusteigen und nicht einfach erschöpft vom Rad zu fallen. Da geht’s dann am nächsten Tag einfach viel besser.

DE Du hattest ja ein Betreuerteam dabei, das dich im Auto begleitet hat…

M.S. Ursprünglich hatte ich geplant, alles komplett allein zu machen. Dann bin ich drauf gekommen, dass ich das nicht schaffen kann. Es war extrem cool, dass ich zwei Leute gefunden habe, die mit mir gelitten haben. Für die hat das geheißen: Fünf Wochen lang Non-Stop-Betreuung. Eine meiner Begleitpersonen ist Ärztin. Das größte Problem in Afrika ist ja die schlechte medizinische Versorgung. Wir hatten extrem viele Medikamente dabei, Operationsbesteck, verschiedene Infusionen. Aber zum Glück fast nichts davon benötigt.

DE Wie war dein Gute-Nacht-Ritual? Hast du dich vor dem Schlafengehen
massieren lassen?

M.S. Nein, keine Massage. Du steigst vom Rad runter, trinkst noch schnell einen Liter Recovery-Shake, leerst dir drei Liter Wasser über den Kopf, trocknest dich ab und legst dich hin. Zuvor musst du noch die Wunden auf deiner Sitzfläche versorgen. Nach viereinhalb Stunden Schlafen sitzt du ja wieder im Sattel.

DE Was hast du während der Fahrt eigentlich gegessen?

M.S. Wir hatten kistenweise Sportriegel mit. Aber auch ganz normale Schokoriegel. In der Früh versucht man noch die guten Riegel zu essen und zum Abend hin werden es dann die ungesunden. Genauso die Getränke. Ich habe oft an einem Tag drei Liter Cola getrunken. Wir haben versucht, während der Fahrt hinten mit einem Gaskocher zu kochen: aber mehr als Reis mit Ketchup und Nudeln mit Salz haben wir nicht zustande bekommen.

DE Du hattest vermutlich relativ wenig Kontakt mit den Leuten, die in den Ländern leben, oder?

M.S. Ich natürlich weniger, aber mein Team musste immer wieder Besorgungen machen. Vom Sudan waren wir begeistert. Die Leute dort waren extrem freundlich. Probleme gab es in Äthiopien: Da haben uns Kinder die ganze Zeit mit Steinen beworfen. Vermutlich, weil wir mit einem weißen Bus unterwegs waren, und ein weißer Bus signalisiert immer: Hilfsorganisation. Die Kinder sind es gewohnt, dass die Busse stehenbleiben und Sachen verteilen. Das war wirklich schlimm, da habe ich viele Steine abgekriegt. Mein Rad hat im Oberrohr sogar ein Loch von einem Stein.

DE Hattet ihr technische Probleme?
M.S. Ich hatte drei Räder dabei: Ein Zeitfahrrad, ein Rennrad und ein Mountainbike für die rauen Pisten. Bei allen drei Rädern war eigentlich alles, wo es ein Lager gibt, irgendwann einmal kaputt. Steuerlager, Tretlager. Jede Kette bei jedem Rad habe ich einmal gewechselt.

DE Den schönsten Moment bist du mir noch schuldig geblieben …

M.S. Es gibt einfach so viele schöne, intensive Momente. Da fährst du zum Beispiel in Kenia, und plötzlich kommt von der Seite ein Strauß, der neben dir herrennt. Zwei Minuten lang. In so einem Moment kommst du drauf, ja genau aus diesem Grund bin ich da. Das hätte ich sonst nicht erlebt.

DE Du versuchst in deinem Buch der Frage nachzugehen, warum man solche
Strapazen auf sich nimmt. Gibt’s einen Grund, der über allen anderen steht?

M.S. Das Leben spüren. Jeder, der schon einmal mit seinem Radl in ein richtiges Sommergewitter gekommen ist, wo es einen richtig einwaschelt, kennt das Gefühl. Im ersten Moment denkt man sich: Scheiß Regen, aber dann, wenn man es durchsteht, ist es einfach geil.

 

Vertiefende Links

Michael Strasser – Cairo2Cape /