Unser Autor radelt 1.012 Kilometer von Wien-Hernals bis zum Matterhorn. Mit dem Liegerad.
Reisebericht: Pedro Shahin Acarbas.
Als gebürtiger Tiroler habe ich seit meiner Kindheit den überwiegenden Teil meiner Freizeit in den Bergen verbracht. Zurzeit arbeite ich als leidenschaftlicher Schulpädagoge in einer Wiener Integrativschule. Und nach wie vor zieht es mich ins Gebirge: mal mit, mal ohne Fahrrad. Auch in diesem Jahr war die Sehnsucht wieder groß. Als mich meine Schülerinnen und Schüler nach meinen Plänen für den Sommerurlaub fragten, musste ich dann auch nicht lange überlegen: ich würde – sagte ich ihnen – mit dem Fahrrad in die Schweiz fahren. Kurz nach Schulschluss machte ich mich auf den Weg.
Vehikel der Wahl: ein Liege-Trike
Als Fortbewegungsmittel wählte ich mein Liege-Trike samt 38 kg schweren Fahrradtaschen mit Camping- und Kochausrüstung und Verdeck gegen Wind und Regen. Schon am Donauradweg, dem ersten Teilstück meiner Reise, bemerkte ich, dass es eine kluge Entscheidung gewesen war, das Verdeck mitzunehmen. Mit geschlossenem Dach ging es um bis zu 25 km/h schneller voran. Trotz der Empfehlungen, einen E-Motor anzuschließen, hatte ich mich für die reine Muskelkraft entschieden. Auch ohne Zusatzmotor schaffte ich auf dem Liege-Trike am ersten Tag meiner Reise 145 Kilometer.
Die Strecke begann in Wien-Hernals, ging nach Passau, über West- und Ostbayern, das Allgäu und weiter ins Ländle. Die Route über Deutschland wählte ich auch deswegen, weil auf dieser Strecke die wenigsten Höhenmeter anfallen.
Wie kann man eigentlich den Donauradweg bis nach Linz beschreiben? Der Abschnitt bis Passau war fürs Liegerad weit und breit genug, im Gegensatz zum deutschen Teil bis Vilshofen. Die blaue Donau, begleitet durch den sonnigen Himmel, streckte sich entlang der bunten Ackerlandschaft, die breiten Fahrradwege und die verschiedensten Insekten machten meine Reise ebenso interessant wie unterhaltsam. Wieder bewährte sich mein Verdeck: nämlich als Schutz vor dem Insektenansturm.
Das Wetter spielte mit, den ersten Regentag auf meiner Reise genoss ich im wunderschönen Allgäu im Kurort Isny. Dort besuchte ich auf einem Bauernhof ein befreundetes Paar, das gerade ein Baby bekommen hatte. Zwei Tage durfte ich mit ihnen dort verbringen.
Stufen und enge Unterführungen
Zwischen Passau und Vilsbiburg wurde die Radinfrastruktur leider im Großen und Ganzen vernachlässigt, wiederum musste ich oft auf Bundesstraßen und teilweise auch auf Schnellstraßen meine Reise fortsetzen. Außerdem traf ich am Donauradweg nach Vilshofen auf drei Fahrradunterführungen mit ca. je zehn Stufen. Die Breite dieser Unterführungen reichte leider nicht für mein Liegerad aus. Nicht nur fahrradunfreundliche Wege, sondern auch die Lkw-Kolonnen störten mich enorm, vor allem wenn ein paar Lkw-Fahrende zu hupen begannen. Im Liegerad fühlt sich so ein Lkw, der knapp hinter dir fährt, noch bedrohlicher an.
Gefährliche Lkw
Die Bedrohung ist dabei sehr real, wie sich bald zeigen sollte: Als mich einmal ein Lkw überholen wollte, machte der Fahrer plötzlich direkt neben mir eine Vollbremsung und ordnete sich dann wieder hinten ein, weil im selben Moment das Auto hinter dem Lkw zum Überholen angesetzt hatte.
Bei Kempten zeigte sich dann auch die große Schwäche des schwer bepackten Liegerades: Steigungen. Je stärker der Anstieg, desto niedriger wird die Geschwindigkeit, bis man irgendwann schieben muss. Ich begann zu ahnen, dass die große Herausforderung auf mich erst nach Vorarlberg und Liechtenstein wartete.
In Lustenau kam ich auf den Rheinradweg. Von dort ging es dann Richtung Schweiz. Bevor mir die erste Passstraße begegnete, machte ich zufällig in Maienfeld, dem Heimatort von Heidi und ihrem Großvater Almöhi, eine Kaffeepause und konnte dort zum ersten Mal ein wenig Rätoromanisch hören.
Die wunderschöne Rheinschlucht begleitete mich mehrere Stunden lang. Für ca. drei Kilometer Passstraße brauchte ich mehr als drei Stunden. Auf der Passstraße von Bonaduz war ich nach ein paar Kurven völlig erschöpft. Ich musste oft aussteigen und das Rad stundenlang hinaufschieben. Die Wetterbedingungen machten alles noch schwieriger, sodass ich nicht nur einmal aufgeben und umdrehen wollte.
Mit Wölfen durch die Nacht
Der Name des Kantons Uri kommt vom lateinischen Wort „Urs“ und bedeutet Bär auf Rätoromanisch. Hier lebten bis vor ein paar Jahren tatsächlich Bären, allerdings ist die Landschaft mittlerweile ein perfekter Platz für Wölfe. Ich radelte auch im Dunkeln und ich muss ehrlich gestehen, dass mir das einen besonderen Nervenkitzel bescherte. Einmal, während einer schnellen Abfahrt, war ich mir fast sicher, dass ich das rötlich leuchtende Augenpaar eines Wolfes im Unterholz neben der Straße gesehen hatte.
Auf der Oberalpseepassstraße musste ich nach drei Serpentinen die Fahrt abbrechen, denn es war mir konditionell und psychisch aufgrund des dichten Verkehrs unerträglich, die Steigung zu bewältigen. Ich fand in der nächstgelegenen Ortschaft einen Bahnhof auf 2.044 Meter Seehöhe. Als ich am Bahnhof in erschöpftem Zustand mit meinem Gefährt ankam, muss ich das Mitgefühl der Schalterbeamtin geweckt haben: Nachdem das Liege-Trike in keinen normalen Zug gepasst hätte, bot sie mir an, mit dem Autoreisezug mitzufahren. Kostenlos!
So legte ich die Passstraße zwischen den Kantonen Uri und Wallis – der Furkapass ist berühmt als Schauplatz für einige Szenen aus dem James-Bond- Film „Goldfinger“ – mit dem Zug zurück. Die Qualität der Schweizer Bahn muss man an dieser Stelle loben: ihr Service ist so viel besser als bei den Bahnen in anderen Ländern.
Der Jungfrau-Aletsch-Gletscher
In der Ortschaft Fiesch besuchte ich den Jungfrau-Aletsch-Gletscher, den größten Gletscher der Alpen. Einfach atemberaubend!
In Visp angekommen, musste ich mit Entsetzen feststellen, dass sich meine finale Etappe über 38 Kilometer mit einer Steigung von durchschnittlich zwölf Prozent hinziehen würde. Als noch dazu starker Regen einsetzte, musste ich eine Stunde lang pausieren – übrigens gleich neben der verlassenen Bergliftstation Hannigalp. Insgesamt benötigte ich für die Strecke dann fünf Stunden.
Meine Freude bei der Ankunft war unbeschreiblich groß. Nach elf Tagen und sieben Stunden, nach 1.095 Kilometern und insgesamt 6.824 Höhenmetern (davon gefahren: 5.339 Höhenmeter), erreichte ich die Ortschaft Zermatt. Für mich bedeutete es, einen Kindheitstraum verwirklicht zu haben: das mächtige Matterhorn aus der Nähe zu betrachten (und nicht bloß auf einer Toblerone-Verpackung).
Zahlen & Fakten
Gesamtkilometer: 1.012 km
Gefahrene Höhenmeter: 5.339 m
Gesamtgewicht samt Gepäck und Dach: 38 kg
Ausstattung
Liegerad Marke „Performer“, VELTOP, Wind- und Regenschutz, Airzound Hupe, Hornit db140 Hupe, Scheibenbremsen vorne, Rahmentasche, 3 Radtaschen, 4 Stück Scheinwerfer vorne, 3 Stück Hinterrücklichter, Liegeradsitzpolster, Fahrradcam
Packliste
Zelt, Schlafsack, 2 aufblasbare Polster, Schnellkochplatte, Kaffeemühle, Espressokocher, eine Packung Anzünder, genügend Regenschutz, 3 Fahrradhosen, Bergschuhe, Flip-Flops, FiveFingers, Laptop, 2 Bücher, eine kleine Werkzeugtasche, 3 Ersatzmäntel, 2 Schläuche (alle musste ich verwenden), Sonnencreme, Vitamin B12 Nahrungsersatzmittel, Toilettenpapier
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