Talwärts auf dem Einrad
Villanders glüht im Einrad-Fieber. Magda Jöchler hat sich in dem Südtiroler Bergdorf umgesehen und Radsportlerinnen und -sportler bei den letzten Vorbereitungen für die Europameisterschaft besucht.
Schwungvoll fährt Lukas auf den schmalen Balken zu, die linke Hand am Sattel, der rechte Arm rudert in der Luft, um die Balance zu halten. Er tritt noch einmal in die Pedale, springt vom Balkenende in eine abschüssige Wiese, landet etwas wackelig und gleitet vom Einrad. Hinter ihm landet schon die nächste Fahrerin. Und noch einer. Und noch eine. Die Mädchen und Buben vom AC Villanders Einrad bereiten sich gerade auf die Europameisterschaft im niederländischen Sittart-Geleen vor, die dort vom 28. Juli bis 6. August stattfinden wird.
Zehn Kehren führen vom Eisacktal hinauf nach Villanders. Hier oben, auf 880 Metern Seehöhe, ist kaum eine Straße eben. Wer hier mit dem Rad unterwegs ist, hat normalerweise zwei Räder montiert – die Villanderer Alm ist ein Paradies für Mountainbiker. Seit über vier Jahren hat es der Dorfjugend aber das Einrad angetan. Mit der Gründung des Vereins kamen regelmäßige Trainingseinheiten und Wettbewerbe quer über den Erdball. Auf den Geschmack gekommen sind ein paar Villanderer bei einer Einradvorführung in Lajen, einem Bergdorf auf der gegenüberliegenden Talseite. Dort war das Einradfieber noch etwas früher ausgebrochen. Die Disziplinen sind fast dieselben wie beim Zweirad: Trial, Langstrecken, Cross Country, Downhill oder Freestyle. Die stärksten Disziplinen der Villanderer Gruppe sind – wenig überraschend – Downhill und Cross Country. Unter den mittlerweile neunzig Mitgliedern sind einige amtierende Welt- und Europameister und -meisterinnen.
Närrisches Abwärtstreten
„Warum müssen diese Narren abwärts auch noch treten?“, beschreibt Ida Treibenreif die Reaktionen einiger älterer Dorfbewohner. Erklärung für Nicht-Eingeweihte: Einräder haben keinen Freilauf. Wenn die jungen Leute die steilen Gassen und Wiesen hinunterjagen und dabei in die Pedale treten, tun sie das also nicht um zu beschleunigen. Ida Treibenreifs gesamte Familie ist beim Verein. Ob sie nicht Angst um ihre drei Kinder hätte, die sich dem Einrad-Sport verschrieben haben? Ida zuckt mit den Achseln.
„Es ist weniger gefährlich als mit dem normalen Rad, weil man schneller vom Rad abspringen kann“, fügt Vera Hofer hinzu. Die18-Jährige ist amtierende Downhill-Weltmeisterin. Ganz ohne Risiko ist der Sport freilich nicht: Eine gebrochene Elle und Speiche waren bisher ihre schlimmsten Verletzungen.
Wendiger auf schwierigen Strecken
Neben dem vereinseigenen Hindernisparcours ist das bevorzugte Trainingsgelände vor allem für die Downhillfahrer die Alm. Hinauf geht’s mit dem öffentlichen Bus. Über steile Pfade hinunter ins Dorf, mit dem sogenannten Muni, dem Mountain Unicycle.
„Auf schwierigen Strecken ist man wendiger und schneller”, beschreibt Vera die Vorteile gegenüber einem normalen Mountainbike. Nicht wenige im Verein besitzen gar kein normales Fahrrad mehr. Einzig als Verkehrsmittel für den Alltag hat sich das Einrad (noch) nicht etabliert. Um etwa Freunde im Nachbardorf oder auch nur ein paar Straßen weiter zu besuchen, steigen die meisten auf den Motorroller oder das Auto um. Begründung: Mit Anstiegen von bis zu 30 Prozent seien die Gassen und Zufahrten zu steil, um darauf auch noch nach Trainingsschluss aus eigener Kraft unterwegs zu sein.